Glücksspiel-Survey 2023: Wissenschaftliches Ziel wieder verfehlt?

Der frisch veröffentlichte Glücksspiel-Survey 2023 mit erneut hohen Suchtzahlen sorgt für Aufruhr und massive Kritik. Glücksspiel-Verbände sind sich einig: Es wurde erneut unwissenschaftlich gearbeitet.

Sonja Çeven Datum: Lesedauer: min.
zuletzt aktualisiert: 07.03.2024

Glücksspiel-Survey 2023: Wissenschaftliches Ziel wieder verfehlt?

Der frisch veröffentlichte Glücksspiel-Survey 2023 mit erneut hohen Suchtzahlen sorgt für Aufruhr und massive Kritik. Glücksspiel-Verbände sind sich einig: Es wurde erneut unwissenschaftlich gearbeitet.

Inhaltsverzeichnis

    Der Glücksspiel-Survey 2023 hat bereits am Tag seiner Veröffentlichung am 06.03.2024 starke Reaktionen hervorgerufen. Während deutsche Medienhäuser insbesondere die Ergebnisse zu Spielbeteiligung und Spielsucht zitieren, kritisieren Vertreter der Glücksspielverbände die erneut „unwissenschaftliche” Methodik der Erhebung. 

    Die fundierte Kritik der Statistikerin Katharina Schüller an dem vorigen Glücksspiel-Survey 2021 sei von den Studienautoren komplett ignoriert worden, so der Deutsche Sportwettenverband (DSWV). 

    Spielbeteiligung und Spielsucht laut Autoren stabil hoch

    Der Glücksspiel-Survey 2023 ist die nun zweite Studie des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) und der Arbeitseinheit Glücksspielforschung der Universität Bremen mit dem Titel „Glücksspielteilnahme und glücksspielbezogene Probleme in der Bevölkerung“.

    Die drei Autoren der Vorgängerstudie, Dr. Sven Buth und Dr. Jens Kalke vom ISD Hamburg und Prof. Dr. Gerhard Meyer von der Universität Bremen, sind auch die Verfasser des neuen Glücksspiel-Surveys, ergänzt durch wissenschaftlichen Mitarbeiter Moritz Rosenkranz (ISD). 

    Befragt worden seien insgesamt 12.308 Personen im Alter zwischen 16 und 70 Jahren (65,1 % davon per Telefon, die restlichen 34,9 % online). Für die finalen Ergebnisse hätten die Autoren dann 25,8 % der Telefoninterviews und 17,9 % der Online-Befragungen ausgewertet. 

    Mehr als ein Drittel der Bevölkerung spielt

    Der Erhebung zufolge hätten in den letzten 12 Monaten mindestens 36,5 % der Bevölkerung an mindestens einem Glücksspiel teilgenommen (40,4 % bei den Männern, 32,7 % bei den Frauen). Damit ist die allgemeine Spielbeteiligung im Vergleich zum Survey 2021 (29,7 % der Bevölkerung) merklich gestiegen. 

    Von den Befragten hätten sich 12,2 % mindestens einmal wöchentlich am Glücksspiel beteiligt. 3,6 % mehrmals im Monat, 9,8 % einmal monatlich und 11 % weniger als einmal im Monat. (2021 lag die wöchentliche Beteiligung bei 12,8 %.) 

    Der Großteil der Glücksspiel-Teilnehmer (17,3 % der Bevölkerung) habe ausschließlich im stationären Bereich gespielt. 10,7 % hingegen hätten nur Online-Glücksspiele gespielt und 7,8 % präferierten eine Kombination aus beidem. Im Verhältnis zur Gesamtbeteiligung sind die Zahlen damit im Vergleich zu 2021 stabil (12,1 % nur terrestrisch, 9,7 % nur online, 6,1 % beides) 

    Lotto 6aus49 bleibe das am meisten genutzte Glücksspielprodukt, welches von 19,8 % der Befragten gespielt werde. Auf Platz zwei liege der Eurojackpot mit 13 %, während 6,9 % die „riskanten Glücksspielformen” (Spielautomaten, Casinospiele, Sportwetten und Keno) nutzten.

    Spielsuchtzahl mit 2,4 % minimal gestiegen

    Bezüglich der Verbreitung problematischen Spielverhaltens kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass 2,4 % der erwachsenen Bevölkerung (18 bis 70 Jahre) eine glücksspielbezogene Störung nach DSM-5 aufwiesen. 2021 lag dieser Wert bei 2,3 %. Bei DSM-5 handelt es sich um die fünfte Ausgabe des Handbuchs zur Diagnose psychiatrischer Erkrankungen der American Psychiatric Association. 

    Der ursprüngliche Nutzen der Handbücher DSM-III, DSM-iV und DSM-5 [Wechsel zur arabischen Zahl von Entwicklern bewusst gewählt] dient allerdings nicht der statistischen Erhebung, sondern der strikt klinischen Anwendung. Zum Einsatz kommt ein Fragebogen zur Erfassung von neun Kriterien. 

    Im Rahmen der Erhebung seien dazu 17 Fragen genutzt worden, die die Autoren jedoch nicht preisgeben. Laut den Autoren des Glücksspiel-Surveys hätten 6,1 % der Befragten ein bis drei Kriterien erfüllt und zählten damit bereits zu den Personen mit „riskantem Spielverhalten”. 

    Die genannten 2,4 % mit Glücksspielstörung teilen sich wie folgt auf: 1,0 % leichte Störung, 0,7 % mittlere Störung und 0,7 % schwere Störung). Ab wie vielen erfüllten Kriterien jemand als Person mit schwerer Störung gilt, verraten die Autoren nicht.

    DSWV: Keine repräsentativen Ergebnisse und erneut mangelnde Transparenz

    Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) hat sofort auf die Veröffentlichung reagiert und harsche Kritik geäußert. Die neue Studie weise die gleichen Mängel auf wie der Glücksspiel-Survey 2021. Im Auftrag des DSWV und des Deutschen Online Casinoverbands (DOCV) hatte die Statistikerin Katharina Schüller Anfang September letzten Jahres ein Gutachten veröffentlicht, in welchem sie die Methodik des Surveys bemängelt. 

    Die Autoren hatten kurz darauf mit einer defensiven Stellungnahme reagiert, die von Schüller angefragten Umfragedaten, Feldberichte und Fragebogen aber nicht geliefert. Nachdem Schüller ihre Kritik im Anschluss noch einmal erklärt und bekräftigte, kam keine weitere öffentliche Reaktion seitens der Autoren. 

    Wie DSWV-Präsident Mathias Dahms nun zu verstehen gibt, hätten die Autoren somit die Kritik Schüllers gänzlich ignoriert und an ihrem vorherigen Studiendesign festgehalten.

    Trotz der Kritik am vorherigen Survey 2021 ist es bemerkenswert, dass die Autoren nichts an ihrer Methodik geändert haben. Sie ignorieren weiterhin die Einwände anderer Wissenschaftler und geben nur unzureichende Auskünfte zu den Limitationen ihrer Studie.” 

    Wie der DSWV betont, könne insbesondere das Ergebnis der Spielsuchtzahlen keineswegs repräsentativ sein. Die 2,4 % ergäben sich nämlich aus 0,4 % aus der Telefonbefragung und 6,4 % der Online-Befragung. Eine solche Diskrepanz lasse schlicht keine Repräsentativität zu. 

    Glücksspiel-Survey 2023 verfehlt Ziel

    Schüller und der DSWV sind längst nicht die einzige Kritikerin am Studiendesign. So hatte die Zeitung WELT die Studie erst im Februar harsch angegriffen und von „Unsauberkeiten bei der Vergabe” und „umstrittenen Methoden” geschrieben. 

    Doch auch Georg Stecker, Vorstandssprecher des Dachverbandes Die Deutsche Automatenwirtschaft e.V. hat sich nun sehr kritisch zum neuen Survey geäußert: 

    In diesem Kontext nimmt Georg Stecker, Sprecher des Vorstandes des Dachverbandes Die Deutsche Automatenwirtschaft e.V., kritisch Stellung:

    Auch in der Neuauflage des Glücksspiel-Survey 2023 wurden die Fehler, die laut Experten keine Hochrechnung auf die Gesamtbevölkerung zulassen, fortgesetzt. Damit verfehlt leider auch der Survey 2023 sein Ziel, belastbare Rückschlüsse auf Aspekte von Glücksspielstörungen zu ziehen.” 

    Auch laut Stecker hätten die Autoren jedwede Kritik einfach ignoriert. Dabei sei ein „auf Fakten und wissenschaftlich validen Daten basierender Diskurs” wichtig und notwendig. Der Survey jedoch biete keine fundierte Entscheidungsgrundlage zur etwaigen Anpassung und Bewertung der geltenden Glücksspielgesetze. 

    Angesichts der Ende 2026 geplanten Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags 2021 sei die aktuelle Studienentwicklung „fahrlässig”, was gerade „in Zeiten eines grassierenden Schwarzmarktes” sehr gefährlich sei.

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