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In einem neuen Gutachten hat die Statistikerin Katharina Schüller die Repräsentativität der Ergebnisse des Glücksspiel-Surveys 2021 angegriffen. Die in den Medien im Zusammenhang mit problematischem Glücksspiel immer wieder zitierte Erhebung basiere auf einem untauglichen Untersuchungsdesign und methodischen Fehlern. Zudem fehle es an der nötigen Präzision und Transparenz.
Projektträger der Studie waren das ISD Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung in Hamburg sowie die Arbeitseinheit Glücksspielforschung der Universität Bremen. Die Autoren sind Sven Buth, Gerhard Meyer und Jens Kalke. Diese kamen in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass 8 % der 18-bis-70-jährigen Bevölkerung problematisches Spielverhalten aufwiesen.
Laut der letzten Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2019 hingegen seien 0,73 % der Bevölkerung von problematischem Glücksspiel betroffen.
Sechs grobe Fehler bei der Studien-Erstellung
Das Gutachten in Auftrag gegeben haben vier deutsche Glücksspielverbände: Der Bundesverband deutscher Spielbanken (BupriS), der Deutsche Online Casinoverband (DOCV), der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) und die Deutsche Automatenwirtschaft (DAW).
Die Gutachterin Katharina Schüller ist unabhängige Statistikerin und Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG). Ihr Urteil gegenüber dem Glücksspiel-Survey 2021 fällt eindeutig aus. Insgesamt habe die Statistikerin sechs grobe Mängel bei der Durchführung der Studie feststellen können.
1. Beeinträchtigte Datenqualität im Mixed-Mode-Design
Anders als bei der BZgA-Studie sei die Befragung der Teilnehmer sowohl per Telefon als auch online erfolgt. Dies beeinträchtige nach aktuellem Forschungsstand die Datenqualität. Die Autoren hätten ihre Wahl dabei mit einer Studie gerechtfertigt, in der von diesem Modell sogar abgeraten werde.
2. Keine zufällige Auswahl der Befragten
Die Studienteilnehmer seien nicht zufällig ausgewählt worden, sondern basierend auf ihrem individuellen Glücksspiel-Interesse sowie durch monetäre Anreize. Dies habe zu einer künstlichen Erhöhung der Zahl der Befragten, die Glücksspiele spielen und problematisches Spielverhalten aufwiesen, geführt.
3. Keine Längsschnittuntersuchung zur Bewertung von Kausalität
Der Survey sei eine bloße Querschnittsuntersuchung, welche grundsätzlich keine Kausalität zwischen riskantem Glücksspiel und anderen Faktoren (Alkoholkonsum, psychische Probleme) aufzeigen kann. Hierfür bedürfe es Längsschnittuntersuchungen, weshalb die diesbezüglichen Ergebnisse nicht valide seien.
4. Ungeeigneter Befragungszeitraum
Der Zeitpunkt der Datenerhebung sei gänzlich ungeeignet. Die Befragung habe nämlich zwischen August und Oktober 2021, also nach Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags im Juli 2021 stattgefunden. Die Befragten sollten aber Angaben zu ihrem Spielverhalten der letzten 12 Monate machen, was sowohl einen Zeitraum vor als auch nach der Gesetzesänderung umfasst.
5. Änderung der DSM-5-Kriterien
Die Autoren hätten die sogenannten DSM-5-Kriterien, die international bei der Messung problematischen Spielverhaltens angewandt werden, falsch ausgewertet. Bisher hätten Spieler als Problemspieler gegolten, wenn sie vier der neun DSM-5-Kriterien erfüllten. Im Glücksspiel-Survey sei der Schwellenwert auf ein von neun Kriterien gesenkt worden.
Dadurch sei der Wert von 8 % entstanden, der bei korrekter Anwendung der Kriterien bei 2,3 % gelegen hätte. Die Diskrepanz von 5,7 % seien sogenannte „riskante Spieler“, eine wissenschaftlich höchst umstrittene Kategorie. Die Studie enthalte keine Belege, dass riskantes Spielverhalten sich tatsächlich auch als problematisches Spielverhalten manifestiere.
6. Geheimhaltung der Studiendetails
Die Herausgeber der Studie würden eine kritische Auseinandersetzung mit dem Survey behindern. So seien der Gutachterin die detaillierten Umfragedaten, der Feldbericht und der Fragebogen zur Einsicht verweigert worden. Dies sei ein fundamentaler Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis.
Im Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft sei zudem festgelegt, dass Forschungsdaten und relevante Materialien zu Zwecken der Replizierbarkeit von Forschung herausgegeben werden sollen. Ebenso werde die Wichtigkeit kritischer wissenschaftlicher Diskussion von Forschungsergebnissen betont.
Keine Grundlage für die Regulierung des Glücksspiels
Aufgrund der vielen Mängel sollte die Studie auf keinen Fall als Argument im Rahmen der Diskussionen um die Glücksspielregulierung in Deutschland hervorgebracht werden, konkludiert die Gutachterin.
„Wegen seiner evidenten Intransparenz und der nachgewiesenen methodischen Fehler und daraus resultierender Verzerrungen ist von der Nutzung des Glücksspiel-Surveys 2021 im Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Bewertungen und erst recht im Zusammenhang mit glückspielrechtlicher [sic!] Regulierung dringend abzuraten.”
Der Glücksspiel-Survey 2021 liefere keine präzise und valide Datenbasis betreffend das Spielverhalten der Bevölkerung in Deutschland. Die Statistikerin empfiehlt, künftige Erhebungen als Längsschnittstudien durchzuführen und verschiedene Hilfsvariablen zur Korrektur möglicher Verzerrungen einzuplanen.
Darüber hinaus sei ein transparenter Umgang mit dem Studiendesign unerlässlich. Die Autoren sollten daher etwaige Limitationen einer Studie transparent diskutieren und proaktiv alle relevanten Daten und Informationen öffentlich zur Verfügung stellen.