Forschungsgelder aus der Glücksspielbranche: Abgeordnete kritisieren Universität Sydney

Australische Abgeordnete zeigen sich empört über die Finanzierung von Glücksspiel- und Suchtforschung seitens der Industrie.

Sonja Çeven Datum: Lesedauer: min.
zuletzt aktualisiert: 22.08.2023

Forschungsgelder aus der Glücksspielbranche: Abgeordnete kritisieren Universität Sydney

Australische Abgeordnete zeigen sich empört über die Finanzierung von Glücksspiel- und Suchtforschung seitens der Industrie.

Inhaltsverzeichnis

    Eine Gruppe australischer Abgeordneter missbilligt die Finanzierung des neuen Forschungsinstituts für Glücksspiel an der Universität Sydney. Die finanziellen Förderer des vor einer Woche eröffneten Centre of Excellence in Gambling Research (CoEGR) sind verschiedene Akteure aus der Glücksspielbranche. Die Abgeordneten sehen daher große Interessenkonflikte und fürchten um den Ruf der Universität. 

    Die Leiterin der neuen Forschungsstelle, Professor Sally Gainsbury, erklärt hingegen, warum es unerlässlich ist, auf direktem Wege mit der Glücksspiel-Industrie zusammenzuarbeiten. Die Unternehmen könnten wichtige Daten betreffend das Spielverhalten ihrer Kunden liefern, auf die die Forscher anderweitig keinen Zugriff hätten. Außerdem verfolgten Anbieter und Spielerschützer hinsichtlich der Vermeidung von Spielsucht dasselbe Ziel. 

    Die größten Glücksspiel-Unternehmen unterstützen die Suchtforschung

    In der Pressemitteilung der Universität Sydney zur Eröffnung des CoEGR werden alle Finanzierer transparent gelistet. Wichtigster Förderer mit 600.000 AUD sei das International Center for Responsible Gaming (ICGR). Das internationale Forschungszentrum gilt als globaler Vorreiter im Bereich der Suchtforschung und Aufklärung. 

    Das ICGR selbst bezieht seine Fördergelder aus verschiedenen Quellen, die größtenteils in der Glücksspiel-Industrie angesiedelt sind. Dies sind kommerzielle Glücksspiel-Konzerne, Stammes-Glücksspiel-Anbieter, Produzenten und Verkäufer von Glücksspiel-Hardware sowie einzelne spendable Personen.

    Zu den wichtigsten Langzeit-Geldgebern zählen laut dem ICRG die Casino-Unternehmen Harrah’s Entertainment, International Game Technology, Mandalay Resort Group, MGM Mirage und die Park Place Entertainment Corporation. Insgesamt habe das ICRG bereits 40 Mio. USD Fördergelder erhalten. 

    Das neue Forschungszentrum der Universität Sydney erhalte nicht nur die Unterstützung des ICRG, sondern auch von Entain Australia, der Tochter des britischen Glücksspiel-Giganten Entain, sowie von Sportsbet, dem Tochterunternehmen des irischen Glücksspiel-Konzerns Flutter Entertainment. Beides sind in Australien legale Glücksspiel-Anbieter. 

    Interdisziplinäre Forschung mit Fokus auf dem Spieler

    Professor Gainsbury unterrichtet seit Jahren am Institut für Psychologie an der Universität Sydney und ist auf verhaltensbasierte Suchterkrankungen spezialisiert. Zu ihren Schwerpunktthemen hat Gainsbury 131 von Experten geprüfte Fachartikel publiziert. Die Suchtexpertin erklärt, warum die Kooperation mit den Anbietern bei ihrer Arbeit so wichtig ist. 

    Die Partnerschaft mit den größten Glücksspiel-Anbietern des Landes ermögliche die Untersuchung des Nutzerverhaltens in Echtzeit. Insbesondere solle untersucht werden, wie effizient die bisher eingesetzten Interventionsmaßnahmen bei auffälligem Spielverhalten seien. Gainsbury führt aus: 

    Diese noch nie da gewesene Zusammenarbeit mit Glücksspiel-Anbietern wird dem Center ermöglichen, bisherige Begrenzungen in diesem Forschungsfeld zu überwinden, so dass der Weg für neue und effiziente Forschungsergebnisse geebnet wird. Die Anbieter werden anonymisierte Daten zum Spielverhalten mit uns teilen und uns die Chance geben, neue Interventionsmaßnahmen zu evaluieren, indem sie uns die einzigartige Möglichkeit geben, einen sehr detaillierten Spieler-Datensatz zu kreieren.” 

    Auf Basis der Forschungsergebnisse wolle Gainsbury neue Spielerschutz-Maßnahmen entwickeln, die nicht nur auf Theorien basieren, sondern „im echten Leben” funktionieren. Aktuell fehle es an effizienten Präventionsmaßnahmen, die insbesondere auf der Früherkennung problematischen Spielverhaltens basieren. 

    Weniger als 10 % der von Spielsucht betroffenen Personen seien gewillt, von sich aus aktiv um professionelle Hilfe zu bitten. Daher müsse der Fokus auf Prävention statt Behandlung liegen. 

    Transparente Forschung: Keine Beeinflussung durch die Förderer

    Die harsche Kritik verschiedener australischer Abgeordneter basiert auf befürchteten Interessenkonflikten. Belege oder stichhaltige Argumente, dass es in diesem Fall zu solchen kommen könnte, werden nicht vorgebracht. 

    So spricht die Abgeordnete Zoe Daniel, die sich zuvor bereits für ein Verbot von Glücksspielwerbung ausgesprochen hat, von „institutioneller Einflussnahme”, die den Ruf der Universität gefährde. Die Abgeordnete Rebekha Sharkie bezeichnet die Förderung durch die Glücksspiel-Branche als „überaus entsetzlich” und die Abgeordnete Monique Ryan bezeichnet die Branche als eine „Industrie der dunklen Künste”. 

    Mehrere Abgeordnete fordern daher, dass die Universität die erhaltenen Forschungsgelder schlicht zurückgibt. Die Universität hingegen verteidigt die Kooperation und schließt Interessenkonflikte aus. Die Integrität der Universität und ihrer Forschung stehe an oberster Stelle und werde zu jedem Zeitpunkt gewahrt. Zudem gebe es einen strikten Ethik-Kodex, an dem sich jedes einzelne Forschungsprojekt orientiere. 

    Zudem betont ein Sprecher der Universität, dass die von der Regierung zur Verfügung gestellten Forschungsgelder grundsätzlich in keinem Forschungsfeld ausreichend seien. Die Partnerschaft mit Glücksspiel-Konzernen bringe daher ausschließlich Vorteile. Eine Beeinflussung oder Limitierung der Forschung durch die Anbieter sei ausgeschlossen.

    Mitfinanzierung der Forschung in Großbritannien Pflicht

    Dass Glücksspiel-Konzerne sich finanziell an der Spielsucht-Forschung beteiligen, ist keineswegs ungewöhnlich. In Großbritannien ist dies seit vielen Jahren üblich, mittlerweile sogar gesetzlich verpflichtend und bei Spielerschutz-Organisationen gern gesehen. Alle lizenzierten Anbieter müssen mindestens 0,1 % ihrer Bruttoumsätze an anerkannte Einrichtungen für Spielerschutz oder Spielsucht-Forschung „spenden”. 

    Viele Anbieter spenden jedoch weit mehr als die gesetzliche Mindestanforderung. So veröffentlicht die Spielerschutz-Organisation GambleAware jährlich Listen der höchsten Spenden aus der Glücksspielbranche. Entain hat beispielsweise im Geschäftsjahr 2022/23 mehr als 15 Mio. GBP an die Organisation gespendet. Flutter Entertainment spendete im selben Zeitraum 8,2 Mio. GBP, Bet365 4,9 Mio. GBP und William Hill 4,5 Mio. GBP. 

    Britische Abgeordnete bezeichnen es als „selbstverständlich”, dass sich die Glücksspielanbieter an der Finanzierung der Spielsucht-Forschung- und Prävention beteiligen. 

    Ein Zukunftsmodell auch für Deutschland?

    Die deutsche Gesetzgebung sieht eine derartige Kooperation aktuell nicht vor. Bislang werden Beratungs- und Hilfsangebote in Deutschland weitgehend durch staatliche Förderung sichergestellt. Seit diesem Jahr sind jedoch erstmals auch Glücksspielverbände und staatliche Lotterien in diesem Bereich tätig geworden. 

    So haben sich der Deutsche Online Casino Verband (DOCV) und der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) mit anderen Branchenverbänden und den Lotterien zusammengeschlossen, um die Beratungshotline der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) für das Jahr 2023 zu finanzieren. 

    Das gemeinsame Ziel der Spielsucht-Prävention

    Ob ein derartiges Finanzierungsmodell in Zukunft auch in Deutschland gesetzlich verpflichtend sein wird, bleibt abzuwarten. Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland verfolgen die Anbieter von Glücksspielen jedoch ein gemeinsames Ziel mit Behörden, Politikern und Spielerschützern: Problematisches Spielverhalten soll frühzeitig erkannt werden, um gegen die Entwicklung von Spielsucht vorzubeugen.

    Wie verschiedene Glücksspielunternehmen erklären, sei es auch aus geschäftlicher Sicht keineswegs nachhaltig, Umsatz aus problematischem Glücksspiel zu generieren. Daher setzen auch immer mehr Akteure in der Branche auf neue Technologien der Künstlichen  Intelligenz, mit deren Hilfe schon erste Anzeichen auffälligen Spielverhaltens aufgespürt werden können.

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    Wenn aus dem Spiel Ernst wird: Aktuellen Studien zufolge liegt die Zahl der Personen, die Suchtverhalten beim Glücksspiel aufweisen, zwischen 134.000 und 416.000. Spielteilnahme erst ab 18 Jahren. Glücksspiel kann süchtig machen. Infos und Hilfe unter www.bzga.de.

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