Inhaltsverzeichnis
Großbritannien: Neue Leitlinien zur Bekämpfung von Glücksspielproblemen veröffentlicht
Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) hat eine umfassende Richtlinie veröffentlicht, die den Umgang des Gesundheitswesens mit Glücksspielproblemen grundlegend verändern soll. Ziel ist es, gefährdete Personen frühzeitig zu identifizieren und ihnen eine angemessene Behandlung sowie Unterstützung zukommen zu lassen.
Systematische Befragung im Gesundheitssektor
Die Leitlinien fordern Angehörige der Gesundheitsberufe dazu auf, Glücksspielgewohnheiten systematisch zu erfragen, insbesondere bei Risikogruppen oder im Rahmen routinemäßiger Untersuchungen wie Gesundheitschecks oder Hausarztbesuchen.
Professor Jonathan Benger, Chief Medical Officer des NICE, erklärte dazu:
„Glücksspielbedingte Schäden haben verheerende Auswirkungen auf die Betroffenen und die Menschen in ihrem Umfeld. Unsere Leitlinien sollen sicherstellen, dass gefährdete Personen frühzeitig erkannt werden, damit sie die notwendige Unterstützung und Behandlung erhalten.“
Wer ist besonders gefährdet?
Die NICE-Leitlinien identifizieren eine Vielzahl von Gruppen, die einem erhöhten Risiko für glücksspielbedingte Schäden ausgesetzt sind. Dazu gehören:
Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) oder Persönlichkeitsstörungen.
Patienten mit neurologischen Herausforderungen, einschließlich Personen mit ADHS oder Hirnverletzungen, die impulsives Verhalten verstärken können.
Junge Erwachsene, die erstmals von zu Hause ausziehen, da sie sich in einer neuen Lebenssituation befinden und anfälliger für riskante Verhaltensweisen sein könnten.
Medikamentenabhängige Patienten, insbesondere solche, die Medikamente einnehmen, die die Impulskontrolle beeinträchtigen, wie bestimmte Mittel gegen Parkinson.
Angehörige von Spielsüchtigen oder Menschen mit einer familiären Vorgeschichte problematischen Glücksspiels.
Diese Zielgruppen stehen besonders im Fokus der neuen Maßnahmen, da sie häufiger mit den negativen Auswirkungen des Glücksspiels konfrontiert sind und oft keine Hilfe suchen.
Wie sollen Glücksspielprobleme erkannt und behandelt werden?
Die NICE-Leitlinien schlagen standardisierte Instrumente wie den Problem Gambling Severity Index (PGSI) vor, um den Schweregrad von Glücksspielproblemen zu bewerten.
Dabei gibt ein Wert von 8 oder höher an, dass eine Überweisung an eine spezialisierte Glücksspielklinik notwendig ist. Für Personen mit niedrigeren Werten bietet der NHS ebenfalls Unterstützung in Form von alternativen Programmen und Beratung an.
Die Behandlung von Spielsucht umfasst eine Kombination aus psychologischen Therapien und, in einigen Fällen, medikamentöser Unterstützung. Insbesondere das Medikament Naltrexon, das bisher hauptsächlich bei Alkohol- und Opioidabhängigkeit eingesetzt wurde, wird bei nicht erfolgreichen psychologischen Therapien als potenzieller Ansatz empfohlen. Zusätzlich sollen praktische Hilfsmittel wie Software zur Blockierung von Glücksspielseiten zur Verfügung gestellt werden.
Prävention durch gezielte Ansprache
Ein zentraler Bestandteil der neuen Leitlinien ist die Empfehlung, Glücksspielprobleme bei routinemäßigen Arztbesuchen oder Gesundheitschecks zu thematisieren.
Patienten, die wegen anderer Probleme wie Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen Hilfe suchen, sollen aktiv nach ihrem Glücksspielverhalten gefragt werden. NICE hebt hervor, dass die Stigmatisierung von Spielsucht dazu führt, dass viele Betroffene ihre Probleme verbergen. Ein proaktiver Ansatz könne helfen, diese Hürden zu überwinden.
Professor Benger führt aus:
„Diese Leitlinien werden es medizinischen Fachkräften ermöglichen, Spielsucht frühzeitig zu erkennen und gezielt einzugreifen. Nur so können wir die verheerenden Auswirkungen von Glücksspielsucht auf Einzelpersonen und deren Familien eindämmen.“
Unterstützung durch Regierung und Gesundheitssystem
Die britische Regierung unterstützt die Einführung einer gesetzlichen Abgabe für Glücksspielanbieter, die jährlich 100 Millionen Pfund generieren soll. Diese Mittel sollen in die Behandlung und Prävention glücksspielbedingter Schäden fließen.
Die Ministerin für Glücksspiel, Baroness Twycross, äußerte sich dazu wie folgt:
„Wir wissen, dass eine klinische Behandlung nicht für jeden geeignet ist, aber die geplante Abgabe wird es uns ermöglichen, ein breites Spektrum an Unterstützungsangeboten bereitzustellen und die bestehenden Behandlungsoptionen zu erweitern.“
Seit 2019 hat der NHS landesweit 15 spezialisierte Glücksspielkliniken eröffnet, von denen sieben allein im Jahr 2024 hinzugekommen sind. Diese Kliniken sollen bis zu 3.000 Patienten jährlich behandeln. Die geplante gesetzliche Abgabe wird es ermöglichen, diese Kapazitäten weiter auszubauen und den Zugang zu Unterstützungsangeboten zu verbessern.
Prävention auch im familiären und sozialen Umfeld
NICE betont, dass Angehörige von Spielsüchtigen häufig ebenfalls unter den Auswirkungen leiden. Die Leitlinien empfehlen, diese in die Behandlung einzubeziehen, sofern dies von beiden Seiten gewünscht wird. Darüber hinaus sollen kulturelle und individuelle Faktoren berücksichtigt werden, um die Behandlung auf die spezifischen Bedürfnisse der Betroffenen abzustimmen.
Liz Ritchie, Mitbegründerin der Wohltätigkeitsorganisation „Gambling with Lives“, die sich nach dem Suizid ihres Sohnes für die Prävention von Glücksspielschäden einsetzt, lobte die neuen Maßnahmen:
„Endlich werden Hausärzte und Fachkräfte des Gesundheits- und Sozialwesens routinemäßig nach Glücksspielproblemen fragen. Diese Richtlinie wird Leben retten.“
Blick in die Zukunft
Die neuen NICE-Leitlinien markieren einen bedeutenden Schritt in der Bekämpfung glücksspielbedingter Schäden. Mit einem integrierten Ansatz, der Prävention, frühzeitige Erkennung und maßgeschneiderte Behandlung kombiniert, soll nicht nur das Wohlbefinden der Betroffenen verbessert, sondern auch die Auswirkungen auf deren Familien und das soziale Umfeld gemindert werden.
Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird in enger Zusammenarbeit zwischen dem NHS, der Regierung und gemeinnützigen Organisationen erfolgen, um sicherzustellen, dass niemand im Kampf gegen die Spielsucht zurückgelassen wird.
Quellen: Independent, NICE UK