Inhaltsverzeichnis
Glücksspiel als Rekrutierungsfalle: Budanow warnt vor „Goldgrube“ – SBU vereitelt Spionagefall in Charkiw
Der Security Service of Ukraine, der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU), hat am 30. Juli einen 26-jährigen mobilisierten Soldaten festgenommen, der nach Erkenntnissen der militärischen Spionageabwehr als Maulwurf innerhalb der Verteidigungskräfte agierte. Der Mann sei über einen Telegram-Kanal von russischen Kräften mit Aussicht auf „leicht verdienstbares Geld“ rekrutiert worden – mit dem Ziel, Spielschulden zu begleichen.
SBU-Fall in Charkiw: Spielschulden als Einfallstor für Verrat
Laut SBU soll der Verdächtige russische Luftangriffe und schweres Artilleriefeuer auf die Stellungen der eigenen Einheit gelenkt haben. Betroffen war der Abschnitt nahe der Stadt Velikiy Burluk in der Region Charkiw, wo die ukrainischen Kräfte den russischen Vormarsch gestoppt hatten.
Unter falschen Vorwänden habe der Mann die Beschusszone verlassen, um für den russischen Inlandsgeheimdienst FSB Standorte benachbarter Einheiten zu sammeln – Informationen, die für künftige „Durchbruch“-Operationen genutzt werden sollten.
Der SBU griff zu, als der Verdächtige Positionen ukrainischer Verteidiger nahe den Frontlinien markierte. Sein Telefon mit Beweismitteln wurde beschlagnahmt. Als Kontaktmann wurde Alexey Suprunenko identifiziert, ein FSB-Offizier aus Sewastopol, der früher in der ukrainischen Strafverfolgung diente und später überlief.
Dem festgenommenen Soldaten wird Verrat unter Kriegsrecht (Art. 111, Teil 2 StGB Ukraine) vorgeworfen. Er sitzt ohne Kautionsrecht in Untersuchungshaft und muss mit lebenslanger Freiheitsstrafe sowie Einziehung seines Vermögens rechnen. Gegen den FSB-Kontaktmann wurden ebenfalls Verratsvorwürfe erhoben.
Zuvor hatte der SBU einen von Russland unterstützten Plan zur Ermordung von Serhii Filimonov, Kommandeur des 108. Separaten Bataillons („Da Vinci Wolves“) , vereitelt – nach SBU-Angaben orchestriert durch den FSB.
„Spieler sind eine Goldgrube“: Budanow über Verwundbarkeiten im Glücksspielmilieu
In einem ausführlichen Interview (u. a. am 5. August mit der Journalistin Ramina Eshakzai) beschreibt Kyrylo Budanow, Leiter der Hauptnachrichtendienstabteilung (HUR) des ukrainischen Verteidigungsministeriums, Glücksspieler als Hochrisikogruppe für Agentenwerbung:
„Spieler sind genau das, was sie brauchen. Spieler sind eine Goldgrube für die Rekrutierung.“
Geheimdienste suchen systematisch nach Schwachstellen, „meist im Lebensstil der Person“. Wer „ernsthafte Probleme“ habe – etwa Schulden oder akute Geldnot (z. B. für medizinische Eingriffe) – werde zum potenziellen Rekrutierungsziel. Gerade im Glücksspielmilieu sei das Rekrutierungspotenzial hoch und steigend.
Geld als Hauptmotiv – und die Mär vom „ahnungslosen Boten“
Budanow betont, dass Geld der zentrale Hebel sei – auch bei Teenagern, die zusätzlich unter familiärem Druck stehen könnten:
„Wir haben immer so gearbeitet, das ist nichts Neues.“
Er widerspricht der Vorstellung, man könne „unwissentlich“ rekrutiert werden:
„Geschichten über Menschen, die nicht verstehen, was sie tun, [sind] Märchen. Geh und schau, wo das Auto geparkt ist … grabe ein großes Paket … lege es … unter das Auto … filme … – Jeder versteht alles.“
Zudem verschleiern Werber häufig ihre Identität:
„Sie können sich als europäische Geheimdienstagenten vorstellen – das ist sehr üblich. … Es kommt nicht oft vor, dass Russen sagen: ‚Wir sind vom russischen FSB oder GRU, wir rekrutieren Sie.‘“
Methoden der Anwerbung: Remote wird häufiger – aber riskanter
Laut Budanow gibt es zwei Hauptwege:
- Fernrekrutierung über technische Mittel: nimmt zu, wirkt für Zielpersonen subjektiv sicherer, ist für den Agenten jedoch riskanter (höheres Spionageabwehr-Entdeckungsrisiko).
- Persönliche Rekrutierung: hängt stark vom Gegenüber ab.
Mit Blick auf Geschlechterunterschiede sagt Budanow pointiert:
„Männer sind leichter zu rekrutieren. Frauen sind von Natur aus schlauer und begreifen viel schneller, was vor sich geht.“
„Man kann Agenten nie ganz trauen“: Doppelspiele und Gegenlenkung
Das Vertrauen in rekrutierte Quellen bleibt prinzipiell begrenzt. Der Anteil von Provokateuren und Doppelagenten sei hoch. Doppelagenten könnten „für beide Seiten gleich gut“ arbeiten.
Daher setze man auf Täuschungsmanöver: Man gebe ihnen „dumme Aufgaben“, um sie auf irrelevante Ziele zu lenken und vom Wesentlichen abzulenken. Zu „Schläferagenten“ bemerkt Budanow, dass diese im Schnitt nach etwa sieben Jahren an Wirksamkeit verlieren – es gebe aber Ausnahmen.
Unkonventionelle Quellen: Wenn Intimität Informationen freilegt
Budanow bestätigt, dass man situationsabhängig auch mit Sexarbeiterinnen und Escort-Models zusammenarbeite. Hintergrund sei die menschliche Schwäche, insbesondere männliche Prahlerei:
„Männer verraten oft Dinge, die sie nicht sollten – nur um zu zeigen, wie mächtig sie sind.“
Die Teilnahme sei freiwillig und betreffe Personen ohne formelle Verpflichtungen. Mehrfach seien daraus „einzigartige Erkenntnisse“ gewonnen worden.
Sicherheitspolitische Dimension des Glücksspiels
Budanows Aussagen sowie der aktuelle SBU-Fall zeichnen ein konsistentes Bild: Glücksspiel kann direkt zur nationalen Sicherheitsbedrohung werden. Schulden, Risikoverhalten und Manipulierbarkeit schaffen eine toxische Mischung, in der ein einziges Angebot den Einstieg in illegale Tätigkeit markiert – ein Ausstieg ist danach selten risikolos möglich.
Trotz verstärkten Vorgehens gegen illegales Glücksspiel bleibe Spielsucht verbreitet; Betroffene „sehen oft keinen anderen Ausweg“, was sie zum „idealen Ziel“ für Anwerbeversuche macht.
Quellen: